Das Justizministerium ist der Ansicht dass auch für Blogger und Betreiber von Facebook-Fan-Seiten das Redaktionsgeheimnis gilt. Diese Ansicht ist Neuland und auch Ex-Vizekanzler HC Strache oder politische Aktivisten wie Martin Sellner könnten davon profitieren.
JUSTIZMINISTERIUM: REDAKTIONSGEHEIMNIS AUCH FÜR BLOGGER GÜLTIG
Hintergrund für die Beantwortung des Ministeriums war eine parlamentarische Anfrage der SPÖ vom 26. November 2019, die sich auf die vom Bundesamt für Korruptionsbekämpfung (BAK) beantragte Beschlagnahmung der Mobiltelephone der NEOS-Abgeordneten Stephanie Krisper und der Presse-Journalistin Anna Thalhammer bezog. Dabei wollten die Beamten Zugriff auf den Nachrichtenverlauf der beiden Frauen erlangen, um so herauszufinden wer im Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung interne Daten über die Probleme der Behörde nach außen spielt.
Justizminister Clemens Jabloner bejahte die Rechtsansicht der Staatsanwaltschaft Wien die das Ansinnen des BAK ablehnte, da Krisper einen Blog betreibt und daher auch für Sie das Redaktionsgeheimnis nach §31 Mediengesetz gelte. Damit betraten die Staatsanwälte juristisches Neuland, denn bislang galt die Meinung dass nur ein Medieninhaber der durch journalistische Tätigkeiten ein adäquates Einkommen erzielt von den redaktionellen Schutzrechten profitiert. Eine Judikatur fehlt aber noch.
Auch Fass ohne Boden–Herausgeber Alexander Surowiec nahm kürzlich dieses Recht in Anspruch, wie er auf seiner Webseite berichtet. Surowiec wurde im Dezember vom BAK aufgrund von Recherchen über Einsätze des Innenministeriums vorgeladen, dabei ging es auch um Erkenntnisse seinerseits dass Personen die an der Erstellung des IBIZA-Videos beteiligt waren, in der Vergangenheit mit der Exekutive zusammenarbeiteten.
Selbst für den durch die IBIZA-Affäre zum Rückzug bewogenen Vizekanzler Heinz-Christian Strache scheint zumindestens teilweise das Redaktionsgeheimnis zu gelten. Strache war in seiner Rolle als FPÖ-Chef und Klubobmann ebenfalls Herausgeber diverser Druckschriften, Facebook-Seiten und Videoangebote der Freiheitlichen Partei. Somit könnten auch für ihn, mindestens bis zum Tag seines Rücktritts (18. Mai 2019), redaktionelle Schutzrechte gelten. Ähnliches könnte auch auf seine Frau Philippa Strache zutreffen, die als Social-Media-Verantwortliche für die Freiheitlichen beruflich tätig und als Moderatorin bzw. Redakteurin für inhaltliche Belange bei FPÖ-TV und der HC-Strache-Facebook-Seite zuständig war.
NICHT JEDER BLOGGER FÄLLT UNTER DAS REDAKTIONSGEHEIMNIS
Das Problem an der Sache ist, dass die von Justizminister Jabloner gegebene Antwort nur Medieninhaber, nicht aber freiwillige Mithelfer/Mitarbeiter erfasst. Letztere müssen noch immer einen Gehalts-/Arbeitsnachweis erbringen um den Schutz des Redaktionsgeheimnissen zu erhalten.
Das ist insbesondere für ehrenamtlich organisierte Medienprojekte problematisch und ein Wettbewerbsnachteil gegenüber klassischen Medienhäusern mit Gewinnabsicht. Diese Einschätzung könnte zuweilen in der Praxis die redaktionelle Arbeit massiv beeinflussen, da dann nach unterschiedlichen Kategorien gearbeitet werden müsste und auf den Medieninhaber die meiste Arbeit entfällt. So dürfte ein Mitschreiber kein Interview mit einer Quelle machen, da im Zuge von Ermittlungen der Exekutive dieser eben kein „Schweigerecht“ hätte.
ALLE MEDIENINHABER HABEN BISLANG DIE SELBEN PFLICHTEN, ABER NICHT IMMER DIE SELBEN RECHTE
Zudem ist die Rechtsmeinung des Justizministeriums zwar als Gesetzesinterpretation zu verstehen, ausjudiziert ist diese Sache jedoch nicht.
Das heißt, fällt jemand mit seinem YouTube-Kanal etwa unter das audiovisuelle Mediendienstegesetz und ist damit als Medienunternehmer einzuordnen, heißt das nach der bisherigen Rechtsansicht, dass er einen nicht unbedeutenden Anteil seines Einkommens durch journalistische Tätigkeiten (z.B. 50%) verdienen muss, um etwa einen Presseausweis zu erhalten. Dieser gilt in der Behördenpraxis auch als Nachweis für eine journalistische Tätigkeit.
Ein Journalist erhält einen solchen etwa beim „Kuratorium für Presseausweise“, dieses verlangt vom Bewerber wiederum Einkommens- und Tätigkeitsnachweise. So muss ein Medienherausgeber mindestens ein Jahreseinnahmen in der Höhe von ca. 18.000 Euro vorlegen. Dies entspricht in etwa 60% vom Gehalt eines Redaktionsaspiranten im ersten Jahr. Auch müssen Artikel, Ton oder Videobeiträge beim Antrag beigelegt werden, da der Antragsteller auch seine redaktionelle Arbeit beweisen muss.
Es gibt aber Sonderfälle die für Personen gelten welche wiederum als Redakteure für Betriebszeitungen, Werkzeitungen und Gratisblätter journalistisch tätig sind. Ebenso können Pressereferenten und PR-Journalisten einen Presseausweis erhalten wenn ihre journalistische Arbeit dadurch nachweislich erleichtert wird.
In der wissenschaftlichen Aufarbeitung werden aber bereits Personen mit 1.000 Euro Monatseinkommen aus journalistischen Tätigkeiten zur Berufsgruppe der Journalisten hinzugerechnet. Die Antwort des Ministeriums lässt hierbei ähnliche Schlüsse zu.
BLOGGER WAREN BISHER „FREIWILD“
Durch die bisherige Interpretation entstand in den letzten Jahren eine Zwei-Klassen-Mediengesellschaft, in der zwar für alle Medienbetreiber die selben Pflichten, jedoch nicht die selben Rechte galten. Blogger waren gewissermaßen „Freiwild“ für die Behörden oder eventuelle Kläger. Ein Schutz vor der Beschlagnahmung von Unterlagen oder Speichermedien bestand nicht. Gemeinsame Recherchen von Journalisten und Bloggern waren daher rechtlich gesehen äußerst kritisch, da Blogger den Quellenschutz für sich nicht in Anspruch nehmen konnten.
WIRD MARTIN SELLNER DURCH REDAKTIONSGEHEIMNIS GESCHÜTZT?
Doch auch politische Aktivisten wie der Youtuber Martin Sellner (Identitäre Bewegung), der mit seinen islam-kritischen Aussagen dem rechts-extremen Lager zugerechnet wird, könnten von dieser Rechtsansicht künftig Gebrauch machen.
Sellners Youtube-Kanal, gilt zwar nach Einschätzung der Medienbehörde KommAustria nicht als meldepflichtiger Video-Abrufdienst, fällt aber dennoch als Medienwerk unter das „allgemeine“ Mediengesetz.
Im Zuge von Ermittlungen wegen Terrorverdachts wurde im April 2019 die Wohnung Sellners von der Polizei durchsucht, außerdem wurde auch seine Kommunikation überwacht. Hintergrund waren E-Mails die der spätere Christchurch-Attentäter Brenton Tarrant an Sellner schickte.
Tarrant wandte sich aber in diesen Schreiben als „Unterstützer/Leser/Zuseher“ an den „Medienherausgeber“ Sellner, damit würde der Schriftverkehr aller Wahrscheinlichkeit nach dem Redaktionsgeheimnis unterliegen.
REDAKTIONSGEHEIMNIS KOMMT NICHT IMMER ZUR ANWENDUNG
An diesem Beispiel lassen sich bereits die unterschiedlichen Interpretationen zum Redaktionsgeheimnis erkennen. Während die Staatsanwaltschaft in Wien dem Ansuchen der Bundesamtes für Korruptionsbekämpfung nicht statt gab die Mobiltelephone der Journalistin Anna Thalhammer und der Abgeordneten und „Bloggerin“ Stephanie Krisper zu konfiszieren, kamen bei der Entscheidung des Landesgerichtes in Graz im Fall Sellners diese Erwägungsgründe anscheinend nicht zur Anwendung.
Das Oberlandesgericht Graz hatte im Dezember 2019 im Zuge eines Berufungsverfahrens der Beschwerde Sellners recht gegeben und die Hausdurchsuchung als auch die Überwachung seiner Person für rechtswidrig befunden. Laut Informationen von Inside Politics hatte auch der zuständige Beschwerdesenat seine Entscheidung nicht auf das Redaktionsgeheimnis, sondern auf den Mangel an Anhaltspunkten nach denen Martin Sellner – nach Ansicht der Staatsanwaltschaft – Teil einer terroristischen Organisation gewesen sein soll, gestützt. Die aus den Ermittlungen gewonnenen Erkenntnisse mussten in der Folge gelöscht werden.
FAZIT:
Sollte die vom Justizministerium vertretene Meinung zum Redaktionsgeheimnis auch von anderen Gerichten und Staatsanwaltschaften übernommen werden und rechtlich halten, dann wird das massive Konsequenzen auf den Rechtsstaat haben. Denn dadurch werden Hunderttausende, wenn nicht sogar Millionen von Bürgern in ihren Rechten gestärkt. Polizei, Behördenvertreter, Staatsanwälte oder Richter müssten dann quasi vor jeder Zeugeneinvernahme nachfragen ob man Medieninhaber ist und das Redaktionsgeheimnis für sich beanspruchen möchte.
BIS BALD,
EUER SIVIC
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