Das Güterbeförderungsgewerbe und insbesondere Paketzusteller haben einen schlechten Ruf. Die Branche gilt als Problemfall („Hotspot“) in den Bereichen Finanzstrafsachen, Delikte der Scheinselbständigkeit, Abgaben- und Gebührenhinterziehung sowie Betrug.
Bei einer Schwerpunktkontrolle der Finanzbehörden und der Polizei Anfang Dezember 2022 in Salzburg, kam es bei einem Paketdienst zu 50 Anzeigen.
ONLINEHANDEL SORGT FÜR UNENTWEGTE PAKETFLUT
Die Paketbranche hat in den letzten drei Jahren einen Boom erlebt. Während bis 2019 die Paketmengen kontinuierlich stiegen und mit 222,4 Millionen Paketen einen Rekordwert erreichten, wurden bedingt durch die Corona-Pandemie 2021 bereits 308,8 Millionen Pakete zugestellt. In der ersten Hälfte 2022 lagen die zum Endkunden transportierten Sendungen laut der Rundfunk und Telekom Regulierungs-GmbH (RTR-GmbH) bei 154,1 Millionen Stück.
Diese Rekordzahlen kommen insbesondere durch Onlinehändler wie Amazon, Zalando, Wish, Shop Apotheke und eine Vielzahl anderer Käuferhäuser im Internet zu Stande.
Die Versandhändler (mit Ausnahme von Amazon) sind aber im Regelfall nicht für die Zustellung der Waren zuständig. Sie beauftragen dafür Postdienste wie die österreichische Post, DHL, DPD, GLS, UPS usw. Die meisten dieser Anbieter unterhalten jedoch keine eigenen Fahrzeugflotten, sondern setzen auf Subunternehmen deren Fahrer oder Partner wiederum das Paket zum Kunden bringen.
Damit verbunden sind Preis- und Zeitdruck sowie überbordende Paketmengen und überlange Touren in den Zustellgebieten. Gratisversand oder die kostenlose Rücksendung von Paketen tun ihr Übriges. Nicht selten kommen so Arbeitstage von mehr als 12 Stunden zusammen, die wiederum ihre Spuren an der Qualität der Zustellung, dem Zustand der Fahrzeuge und der Gesundheit der Paketboten hinterlassen.
Am Ende der Wertschöpfungskette stehen daher oftmals als Selbständige gemeldete Einzelunternehmer (EPU), die tatsächlich einer Scheinselbständigkeit nachgehen. Doch auch angestellte Fahrerinnen und Fahrer zahlen nicht selten mit Niedriglöhnen und unbezahlten Arbeits- und Überstunden die Zeche des Kaufrausches im Internet.
PAKETDIENST IM VISIER DER BEHÖRDEN
Die letztes Wochenende in Salzburg bekanntgewordenen Missstände bei einem Paketdienst zeugen davon, dass in der Branche schon längst Praktiken Einzug gehalten haben, die nicht nur moralisch bedenklich sondern rechtlich illegal sind.
Wie sich herausstellte prüften Finanz- und Polizei-Behörden Anfang Dezember ein Verteilzentrum eines Speditionsunternehmens in Salzburg. Die Anlage selbst firmiert unter der Marke eines Paketdienstes, gehört aber einer Spedition die laut Eigenaussage seit Ende der 1980er Jahre als Gesellschafter an der österreichischen „Tochter“ der Marke beteiligt ist. Das heißt, Depot, wie auch Fahrzeuge und Fahrer tragen die Logos und den Namen des Paketdienstes, sind aber im Regelfall jeweils in eigenen Unternehmen organisiert. Dies hat mit dem Postmarktgesetz (§32(1)) zu tun, welches zwecks Erkenn- und Nachvollziehbarkeit für den Kunden ein einheitliches Auftreten der Postdienste vorsieht.
Mit insgesamt 39 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern sowie einem Diensthund des Finanzamts Österreich (FAÖ), des Amtes für Betrugsbekämpfung (ABB) und Kolleginnen der Polizei (Innenministerium/BMI) rückten die Behörden in das Verteilzentrum, laut der Presseaussendung des Finanzministeriums vom 21.03.2023, ein. Im Rahmen der unangekündigten Großkontrolle wurden 91 arbeitende und als „selbständige“ Unternehmer (Frächter) bezeichnete Personen sowie ca. 20 direkt angestellte Mitarbeiter und Leihpersonal geprüft.
Die Behörden registrierten dabei vor allem Delikte wie Scheinselbständigkeit, Arbeitskräfteausbeutung sowie Verstöße nach dem Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungs-Gesetz. In der Pressemitteilung heißt es dazu, dass im Zuge dieser Kontrolle massive Übertretungen sowohl nach dem Allgemeinen Sozialversicherungsgesetz (ASVG) als auch dem Ausländerbeschäftigungsgesetz (AuslBG) festgestellt wurden. Der Verdacht der Scheinselbständigkeit bezog sich dabei besonders auf Einpersonenunternehmer die nur einen Auftraggeber haben oder Merkmale wie vom Kunden vorgegebene „Dienstzeiten“ aufweisen und somit in ihrer Eigenständigkeit stark eingeschränkt sind.
Durch die Deklarierung der Zusteller als Selbständige ersparen sich die Auftraggeber oftmals Sozialversicherungs- und Steuerabgaben sowie höhere Kammergebühren und Kommunalsteuern, die ein Unternehmen für seine Mitarbeiter normalerweise leisten müsste.
GROßEINSATZ VON FINANZ UND POLIZEI ZEIGT KATASTROPHALE ARBEITSBEDINGUNGEN AUF
Auf den Einsatz folgten Strafanträge an die zuständigen Bezirksverwaltungsbehörden. Das Innenministerium brachte Anzeigen nach dem Niederlassungs- und Aufenthaltsgesetz (NAG) sowie dem Meldegesetz 1991, dem Güterbeförderungsgesetz und dem Kraftfahrgesetz (KFG) ein. Bei der Kontrolle wurden insgesamt 50 Anzeigen gemacht, die Vielzahl der betreffenden Gesetzesmaterien soll laut dem Finanzministerium besonders beeindruckend gewesen sein und konnte nur durch ein gemeinsames behördenübergreifendes Vorgehen kontrolliert und sanktioniert werden.
Im Zuge der Prüfung waren entsprechend der Presseaussendung mehrere Aussagen der „selbständigen“ Frächter besonders alarmierend: „Manche gaben an, dass sie bis zu 77 Stunden (teilweise von 4:00 – 24:00 Uhr) pro Woche arbeiten würden. Zudem würden sie ohne Unterkunft auf einem Autobahnparkplatz nächtigen. Andere geben an, mit bis zu 7 Personen in einem Matratzenlager zu nächtigen. Hinzu kommen mündliche „Dienstanweisungen“ der Auftraggeber, Pönalen in Höhe von bis zu 500 Euro für Tourenausfälle aufgrund von Krankheit oder Urlaub entrichten zu müssen.“
KEINE ERMITTLUNGEN GEGEN DEPOTBESITZER
Wie die Kleine Zeitung berichtet und Inside Politics aufgrund des Abgleichs der vom Finanzministerium veröffentlichten Fotos mit Satellitenaufnahmen und anderer Merkmale recherchieren konnte, war das betroffene Verteilzentrum jenes der Firma Lagermax in Radstadt (Salzburg). Das Finanzministerium konnte aus Gründen des Amtsgeheimnisses und des Verbots der Veröffentlichung von Informationen nach der Bundesabgabenordnung (BAO §48) gegenüber Inside Politics nicht bestätigen um welche Firma es sich handelte.
Die Kleine Zeitung berichtete jedoch, dass laut dem Sprecher von Lagermax, Herrn Günter Fridrich, keine Anzeigen gegen den Betreiber des Verteilzentrums erstattet wurden, sondern einzig gegen die zum Zeitpunkt der Kontrolle tätigen Frächter und Einzelunternehmer rechtliche Schritte eingeleitet worden sind. In allen hier genannten Fällen gilt die Unschuldsvermutung.
Was das Finanzministerium zu diesem Fall sagt, finden Sie in unserem Interview unter diesem Link.
BIS BALD,
EUER SIVIC
INSIDE POLITICS – MEHR ALS TAGESPOLITIK…