Österreich-Bundesadler-Graz-Beton-Zerbrochen

Der 8. und der 9. Mai markieren das Ende des Zweiten Weltkriegs in Europa. Sie setzen den Schlusspunkt über den der Sieg der Alliierten über das Deutsche Reich und die Italienische Sozialrepublik. In Österreich prägt wiederum bis heute die Opfer- und Täter-Frage den politischen und gesellschaftlichen Diskurs. Ein Kommentar von Claudio Schiesl zum differenzierten Geschichtsbild der 2. Republik.

ÖSTERREICH WAR OPFER – DOCH ÖSTERREICHER WAREN VIELFACH AUCH TÄTER

Ich glaube es war vor vielen Jahren bei Ingrid Turnher in der Nachrichtensendung ZIB 2 (ORF). Da sprach ein Widerstandskämpfer davon, dass ihm ein Bekannter nach dem Krieg sagte, dass er nun privilegiert sei und dank den Alliierten eine Pension bekomme und gratis mit der Tram fahren dürfe.

Der Widerstandskämpfer entgegnete ihm darauf: „Bist Du deppert, glaubst wirklich, dass ich sieben Jahre gegen den Hitler gekämpft habe, damit ich danach gratis mit der Straßenbahn fahren darf?“
Dieses Gespräch zeigt zuallererst einmal die Neid-Debatten die nach dem Krieg aufkamen. Viele Jahrzehnte später kam die Diskussion über den Opfer-Mythos dazu, plötzlich waren dann doch alle Täter, das war eben nicht so. Der Staat Österreich wurde 1938 vom Deutschen okkupiert, die Politik hat das Bundesheer nicht mobilisiert, aber es haben etliche Gruppen/Menschen Widerstand geleistet.

Politische Lager links und rechts der Donau, sind sich darüber bis heute uneinig und das ist ein massives Problem für die österreichische Identität. Die einen haben den Widerstand glorifiziert, die anderen verachtet weil sie Befehle befolgt haben, die nächsten haben mit dem Begriff „Opfer-Mythos“ alle Österreicher zu Tätern gemacht. Auf der Strecke blieb die Wahrheit, denn diese ist differenziert.

Genau hier liegt das Problem. Österreich als Staat hat im Gegensatz zum ersten Weltkrieg keinen Anteil an den Kriegsverbrechen gehabt. Das entbindet uns aber nicht vor der Verantwortung. Viele Mitbürger haben mitgemacht, sind unter dem Hakenkreuz an die Fronten marschiert und haben die Hand zum Deutschen Gruß gehoben. Doch trifft das eben längst nicht auf alle zu und das ist für viele Jüngere scheinbar nicht mehr nachvollziehbar.

DIE UNGELÖSTEN FRAGEN DER NACHKRIEGSZEIT

Gleichzeitig sind viele Fragen der Nachkriegszeit unbeantwortet geblieben. Warum war es NS-Verbrechern jahrelang bzw. jahrzehntelang unbehelligt möglich in Österreich zu leben und sich dann auch fern von Europa abzusetzen? Haben Behörden, ehemalige Kameraden und  Parteigänger Täter gedeckt?

Warum wurden Immobilien, Kunstgegenstände und Vermögenswerte nicht oder nur unzureichend an deren enteignete Besitzer oder deren Nachfahren zurückgegeben?
Weshalb wurden NS-Opfer und Zwangsarbeiter erst ab den 1990ern/2000er Jahren „ordentlich“ entschädigt? Weswegen hat man 1945 Deutsch-Böhmen, -Schlesier und -Mähren weitestgehend nach Deutschland emigrieren lassen und nicht in Österreich aufgenommen und ihnen später nicht die doppelte Staatsbürgerschaft angeboten?

Es sind viele Fragen, die bis heute ungeklärt sind. Dabei spielen auch ÖVP, FPÖ und SPÖ eine Rolle. Die Umsetzung des Entnazifizierungsprozesses und ewige Debatten wie der Kärntner-Ortstafelstreit zeugen davon, dass sich das politische Österreich sehr schnell, sehr weiß waschen wollte. Seine Verantwortung hat es aber erst sehr spät begonnen anzunehmen.

MEIN GROßONKEL – HELD ODER DESERTEUR?

Mein Großonkel war Deserteur. Knapp sechs Wochen vor Kriegsende hatte er mit 17 Jahren in Fürstenfeld (Ost-Steiermark) den Marschbefehl erhalten. Er stieg nicht in den Wagen zur Front ein, er fuhr mit seiner Schwester mit dem nächsten Zug heim nach Söchau. Dort versteckte er sich bis zum Kriegsende im Keller und wartete darauf, dass der Wahnsinn ein Ende nehmen würde.

Das war die Realität des Krieges. War mein Großonkel ein Held, war er ein Verräter oder war er einfach nur ein junger Mensch der sich nicht für gescheiterte Großmachtsträume an der an seine Haustür herangerückten Ostfront verheizen lassen wollte? Er wollte überleben, kann ich ihm diesen Wunsch absprechen, definitiv nicht.

Ähnlich erging es zwei Schulkameraden meiner Großmutter, sie waren in Nürnberg stationiert. Ihr Kommandant gab ihnen den Abmarschbefehl in die Heimat. Er sagte, dass es keinen Sinn mehr hatte und schickte die beiden jungen Männer zu Fuß und in Zivilkleidung auf die Heimreise. Von der „Stadt der Reichsparteitage“ ging es per pedes nach Knittelfeld (Ober-Steiermark), dort konnten sie mit einem Zug bis nach Graz fahren und dann in die Ost-Steiermark zurückkehren.

DIE BESATZUNGSZEIT ALS TEIL DER FAMILIENGESCHICHTE

Das sind die Geschichten meiner Kindheit. Mütterlicherseits gehöre ich schon zur zweiten Nachkriegsgeneration, väterlicherseits zur ersten, weil mein Vater als Kind den Krieg erlebte und ich ein Spätberufener aus den 1980er Jahren bin.

Mein Vater erlebte die Besatzungszeit in Wien-Neubau (7. Bezirk). Er sprach von den GI’s, also den amerikanischen Soldaten die ihnen Comics von Superman und Batman, Schokolade und Coca Cola schenkten. Er lernte Englisch ab dem zweiten „ersten“ Schuljahr im Jahr 1945. Seine Mutter musste ihn wieder in die erste Klasse reinreklamieren, weil sein Lehrer in Oberösterreich kurz vor Weihnachten 1944 einrücken musste.

In Wien hatte der Direktor moniert, dass das Kind zu groß für die erste Klasse wäre und wie würde das beim Klassenfoto aussehen. Was von diesen Geschichten stimmt, ich weiß es nicht.  Aber die Eitelkeit ist bekanntermaßen auf ihre Art immer irgendwo und selbst im Elend vorhanden. Besonders in Wien und das ist ehrlich gesagt kein Klischee.

Mein Vater hat auch immer gern Jazz, Swing, Blues und später Rock’n Roll gehört. Er hat mir diese Lieder näher gebracht, denn sie waren der krasse Gegensatz zur harten preußisch/deutschen Marschmusik war. Dieser amerikanische Einfluss hat ihn wohl auch weltoffener gemacht und mir ebenfalls eine andere Welt erschlossen.

Er stand mit 17, wie viele andere, am 15. Mai im Park als Leopold Figl (ÖVP) vom Balkon des Schloss Belvedere zu den Maßen rief „Österreich ist frei!“. Diese Legenden lebendig gewordener Geschichte haben meine Kindheit und Jugend geprägt und mich wohl auch zu dem Patrioten werden lassen, der ich heute noch bin. In vielen Familien wird es ähnliche Erlebnisse gegeben haben und so wurden mehrere Generationen nachhaltig beeinflusst.

Trotzdem ist der Österreicher-Begriff bis heute umstritten und die Rolle österreichischer Staatsbürger während des Zweiten Weltkrieges schwierig zu erklären. Was bleibt ist die Gewissheit, dass wir uns klar sein müssen, dass unter dem auf Hochglanz polierten Image der K.u.K.-Vergangenheit auch braune Flecken und Risse des Nationalsozialismus zu finden sind. Es sind dies die Narben unserer eigenen Vergangenheit und auch damit müssen wir leben.

BIS BALD,
EUER SIVIC

INSIDE POLITICS – MEHR ALS TAGESPOLITIK…

 

 

VonSivic

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert