Bundespräsident Van der Bellen gab ÖVP-Chef Sebastian Kurz den Auftrag zur Regierungsbildung. Stellt sich eine Frage, mit wem kann Sebastian Kurz?
Ein Kommentar von Claudio Schiesl.
Aktuell ist Sebastian Kurz jener Kanzler mit der kürzesten Kanzlerschaft, einzig Parteikollege Hartwig Löger konnte ihm im Mai kurzfristig unterbieten und auch Brigitte Bierlein dürfte weit unter einem Jahr Amtszeit bleiben.
Nun soll sich das ändern. Bundespräsident Alexander Van der Bellen gab am Montag grünes Licht für die Regierungsbildung. Der ÖVP-Chef muss jetzt einen Koalitionspartner suchen und diese Suche könnte schwierig werden.
Claudio Schiesl analysiert in einem längeren Livestream wie die aktuelle politische Lage ist und was auf die Parlamentsparteien als auch ihre Akteure in den nächsten Wochen zukommt. Ergänzend dazu hat er seine Gedanken und Beobachtungen auch in einem Kommentar niedergeschrieben.
KEINE KOALITION GEGEN KURZ
Die Volkspartei ist mit weitem Abstand führende Kraft im Land, jedoch wäre zumindestens mathematisch eine Koalition gegen Kurz und seine Partei möglich. Nur scheint es unwahrscheinlich dass sich SPÖ und Grüne mit der aktuell im Umbau befindlichen FPÖ in eine Koalition trauen. Dies wäre ein Hazardspiel erster Güte.
Video: Mit wem kann Sebastian Kurz?
Claudio Schiesl stellt diese und andere Fragen.
Wie wohl auch die Sozialdemokraten einige Leichen im Keller haben könnten und die Gegensätze zu den Grünen sich nicht nur im vehementen „Nein“ zur CO²-Steuer finden. Dazu kommt noch die Frage ob vielleicht ein gewisser Widerstand auf der „schwarzen“ Beamtenschaft zu erwarten wäre und in einem solchem Fall auf die wöchtlichen Skandale im Wahlkampf, die wöchentliche „Schredder-Affäre“ folgt samt Untersuchungssauschussantrag der ÖVP folgt.
Für die Volkspartei könnte eine solche „Verlierer-Koalition“ als Attentat auf den „Wählerwillen“ und möglicherweise sogar als „Wahlbetrug“ stigmatisieren. Das wären sehr emotionale Argumente welche wohl eine Steilvorlage für Sebastian Kurz bieten würden.
FPÖ SCHEINT RICHTUNG OPPOSITION ABZUBIEGEN
Und so geht es jetzt für Kurz darum Partner zu finden. Diese winken aber vorerst ab. Die ehemalige Umweltministerin Elisabeth Köstinger sprach erst vergangen Freitag in einer Presseaussendung davon, dass die FPÖ aus der staatspolitischen Verantwortung flüchten würde.
Die Freiheitlichen müssen erst mit dieser Niederlage umgehen lernen; immerhin ist man am Friedrich-Schmidt-Platz in Wien völlig anderes gewohnt.
Der Wähler hat die FPÖ nun deutlich für Ibiza und die Spesenaffäre rund um Heinz-Christian Strache abgestraft. Eine Regierungsbeteiligung unter Hofer und Kickl scheint – trotz anders lautender Bekundungen vor dem Wahltag – vorerst in weite Ferne gerückt zu sein. Jedenfalls kann zwar Norbert Hofer Versprechungen pro Koalition ruhig geben, die parteiinterne Stärke von Herbert Kickl wird ein solches Anliegen eher unterbinden.
Nicht zuletzt aufgrund der Landtagswahlen in Vorarlberg und der Steiermark könnten auch hier taktische Überlegungen eine Rolle spielen. In beiden Bundesländern hat die FPÖ etwas zu verlieren, in Vorarlberg ist man zweite Kraft hinter der Volkspartei, in der Steiermark liegen die Freiheitlichen mit der steirischen VP bei den Mandaten auf gleichem Niveau knapp hinter der SPÖ.
Ein ähnliches Minus wie bei der Nationalratswahl hätte für die beiden Landesgruppen massive Folgen und würde die interne Debatte um Transparenz und Freunderlwirtschaft nur verstärken. Besonders in der Steiermark würde ein Prozentminus die steirischen Blauen schwer treffen. Immerhin hat man den Neuwahlantrag dort selbst eingebracht.
SPÖ OHNE FREUDE (JOY), ABER MIT ERNSTHAFTER EXISTENZFRAGE KONFRONTIERT
Bleiben also nur SPÖ und Grüne über. Auch hier tauchen Gegensätze auf, insbesondere ist man innerhalb der Sozialdemokratie vom Wahlergebnis paralysiert und kann sich aktuell nur schwer eine Regierungsbeteiligung als „Juniorpartner“ vorstellen. Die unterschiedlichen Meinungen zum 12-Stunden-Tag oder der Krankenkassenreformen tun dabei ihr übriges.
Zudem hängt auch der Volkspartei bei einer Zusammenarbeit mit dem „Langzeit-Partner“ der „Streit-Mythos“ nach. Die Legende des Sebastian Kurz hängt maßgeblich mit dem Ausbruch aus der „Rot-Schwarzen“ Schicksalsgemeinschaft zusammen.
Der ÖVP-Chef konnte sich dadurch vom Stigma der Stillstandsregierung befreien und seinen „neuen Weg“ propagieren. Eine Rückkehr zu einer ÖVP-SPÖ Koalition birgt somit auch das Problem mit sich in alten Spuren zu fahren und den – noch immer frisch wirkenden – türkisen Anstrich stückweise zu verlieren.
Die Erzählung des Alt-Kanzlers könnte sich dabei frühzeitig in Widersprüchen wiederfinden.
Außerdem stellt sich die Frage wie lange Joy Pamela Rendi-Wagner noch der Partei vorsteht. Sie könnte – nach ihrem zweitbesten Ergebnis auf Bundesebene – unter Umständen noch vor Weihnachten abgelöst werden.
Ob sich dann Sebastian Kurz mit einer möglichen Parteichefin Doris Bures oder anderen Personen einigen will, bleibt völlig offen.
Einzig für die NEOS wäre „Rot-Schwarz“ ein machtpolitischer Segen. Wenn Sebastian Kurz in der nächsten Legislaturperiode staatstragende Projekte umsetzen möchte und Verfassungsänderungen durchsetzen will, könnten die Pinken als Zünglein an der Waage eine Zweidrittelmehrheit ermöglichen, womit auch hier eine „Dreier-Variante“ denkbar.
FPÖ und Grüne würden sich aber inzwischen die Hände reiben und abwarten.
GRÜN-SCHWARZER MACHTPOKER ODER DOCH NUR PARTEIKONSOLIDIERUNG?
Die Grünen als Koalitionspartner wären möglich, doch den „Wiedereinsteigern“ mangelt es im Moment an Personal. Die hoch verschuldete Partei schaffte es, wie 2017 die liberale FDP in Deutschland, nach einer Legislaturperiode wieder ins Parlament einzuziehen. Jedoch mussten in der Zwischenzeit knapp 100 Mitarbeiter gekündigt werden. Der Klub blutete damit aus und in der neuen Parlamentsfraktion sind nur Werner Kogler und Sigrid Maurer als Abgeordnete mit Nationalrats-Erfahrung über.
Der Umweltpartei steht damit zuerst einmal eine Einstellungswelle ins Haus.
Das bedeutet wiederum dass man hier Experten und Personal anstellen muss, vom Sekretär über Assistenten, Kommunikationsfachleute, Juristen mit Verfassungskenntnissen, bis hin zur Klubdirektion braucht es nun die ganze Bandbreite an Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern um eine funktionierende Parlamentsarbeit leisten zu können.
Ob man daher gleichzeitig in Regierungsverantwortung gehen will bleibt intern abzuklären, insbesondere wenn man berücksichtigt dass die Volkspartei kein sonderliches Interesse daran haben wird der 14%-Partei übermäßig Zugeständnisse zu machen. Auch ist die Mandatsmehrheit mit nur fünf Abgeordneten nicht unbedingt die stabile Mehrheit welche Sebastian Kurz ursprünglich vorschwebte. Eine Option wäre dabei Schwarz-Grün-Pink, diese Variante könnte zwar eine stabile Mehrheit bringen, würde aber zu einem „Mehr“ an Debatten führen.
Umgekehrt bieten Regierungsgespräche die Möglichkeit im Fokus der Berichterstattung zu bleiben. Die Grünen wären in der Lage Akzente zu setzen, dadurch könnte man zu der von Parteichef Kogler geforderten „Volkspartei“ avancieren, ohne gleich in eine Koalition zu gehen.
Die Frage ist nur, in wie fern eine solche Unternehmung – egal in welcher Konstellation – im Sinne der bedeutenden Wiener Landespartei ist?
Diese ist nämlich mit Korruptionsvorwürfen in der „Causa Chorherr“ und gleichzeitig mit der planmäßigen Landtagswahl im Herbst 2020 konfrontiert.
Eine grüne Regierungsbeteiligung könnte – laut politischen Beobachtern – der Wiener-SPÖ den erhofften Auftrieb für den Wahlkampf geben und das ist wiederum nicht im Interesse der Grünen.
MINDERHEITSREGIERUNG MIT ARBEITSÜBEREINKOMMEN ALS AUSWEG?
Alt-Kanzler Kurz sprach in seiner Erklärung zum Regierungsauftrag davon, dass er sich auch Arbeitsübereinkommen mit einzelnen Parteien zu bestimmten Themen vorstellen könnte. Dies impliziert wiederum die Frage ob die ÖVP nicht eher eine Minderheitsregierung anstrebt, denn ein Koaltionspartner würde solche Absprachen – sofern gegen sein Programm gerichtet sind – in der Regel ablehnen.
Gleichzeitig sieht man hier ein Muster welches in vielen seiner Facetten der Vorlage politischer Lehrbücher entspricht.
So könnte Sebastian Kurz bereits die nächste Erzählung vorbereiten um bei einer weiteren Neuwahl mehr als 50% anzustreben. Eine Alleinregierung mit parlamentarischer Mehrheit könnte etwa versuchen das gewünschte Mehrheitswahlrecht durchzusetzen. Wobei auch hier Vorsicht angebracht wäre, denn der letzte Wahlgang sorgte für einen Rückgang der Wahlbeteiligung von fünf Prozentpunkten.
Somit zeigt sich, dass man mit dem Instrument Neuwahl vorsichtig umgehen sollte, sonst könnte der aktuelle „Höhenflug“ der Volkspartei schnell wieder in einem ungewollten Tiefflug enden.
BIS BALD,
EUER SIVIC
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