Die jüngst bekanntgewordene Schwerpunktkontrolle in einem Verteilzentrum eines großen Postdienstes in Radstadt (Salzburg), bei der 50 Anzeigen wegen verschiedenster Rechtsverstöße registriert wurden (wir berichteten), sorgt für öffentliches Entsetzen über die Arbeitsbedingungen bei Lieferdiensten. Da Paketdienste immer öfters ins Licht der Öffentlichkeit rücken, fragte Inside Politics beim Finanzministerium nach wie die Behörden auf die offensichtlichen Missstände im Transportgewerbe reagieren.
PAKETZUSTELLER UNTER DRUCK
Scheinselbstständigkeit, falsche Anmeldungen von angestellten Arbeitern (Teilzeit statt Vollzeit), illegale Beschäftigungen, unbezahlte Überstunden, Verstöße gegen das Arbeitszeitgesetz sowie fragwürdige Lohnabzüge nach dem Dienstnehmerhaftungsgesetz oder die Nichtanerkennung von Arbeitszeiten (bspw. Ladezeiten und Vor- und Nacharbeiten) gehören daher bei etlichen Unternehmen im Kleintransport-Bereich zum Tagesgeschäft.
So werden laut Informationen von Inside Politics am Tag insbesondere von “Land-Zustellern” Strecken von 300 bis 400 Kilometer Länge gefahren, 150 bis zu 250 oder mehr Stopps eingelegt und je nach Unternehmen, Auftragslage und Saison (Sommer/Winter) zwischen 150 und 300 Pakete täglich ausgeliefert.
Dies hat nicht zuletzt auch mit dem hohen Anteil an ausländischen Arbeitskräften und Unternehmern in der Branche zu tun. So sind schlechte Deutsch- und Rechtskenntnisse wie auch eine Reihe von Defiziten beim Verständnis für Tourenplanung und Kalkulation Gründe für die hohe Fluktuation im Güterbeförderungsgewerbe. Denn für Selbständige gelten keine Höchtarbeitszeiten. Zwar sind Fahrtenbücher zu führen und Pausen grundsätzlich einzuhalten, was davon wirklich eingehalten wird bleibt oftmals im Dunkeln. Ein Problem das auch für die Verkehrssicherheit von Bedeutung ist.
Gleichzeitig wird durch diese Praktiken auch der Wirtschaftsstandort geschädigt, deswegen befragte Inside Politics das Finanzministerium und bekam vom Ministeriumssprecher Mag. Stefan Trittner die nun folgenden Antworten.
BEHÖRDEN IM GEMEINSAMEN KAMPF GEGEN BETRUG UND AUSBEUTUNG
INSIDE POLITICS: Das Finanzministerium hat in seiner Presseaussendung vom 22.02.2023 das Beförderungsgewerbe im Bereich der Betrugsbekämpfung als Hochrisikobranche genannt. Wie geht das Ministerium bzw. die Behörden in solchen Fällen vor und wie kann man sich die Vorarbeit bzw. die Durchführung solcher Kontrollen vorstellen?
FINANZMINISTERIUM: Jede Kontrolle in diesem Bereich erfordert eine umfangreiche Vorbereitung, Datenanalyse und Vorbereitung auf die tatsächlichen räumlichen und betrieblichen Abläufe. Darüber hinaus sind auch die jeweils erforderlichen Behörden einzubinden (z.B. Fremdenpolizei).
INSIDE POLITICS: Welche Herausforderungen stellen sich den Behörden bei dieser Menge an unterschiedlichen Delikten, die sich auch auf die unterschiedlichsten Rechtsmaterien aufteilen?
FINANZMINISTERIUM: Die Finanzpolizei deckt zwar einen relativ großen Bereich der Delikte ab (weite Teile des Arbeitsrechtes, Sozialversicherungsrecht und Abgabenrecht), Spezialthemen aber müssen dennoch von den jeweiligen Behördenorganen wahrgenommen werden.
INSIDE POLITICS: Wie wichtig ist hier die Zusammenarbeit und die Interoperabilität zwischen den Behörden untereinander oder mit Interessensvertretungen (Arbeiterkammer, Wirtschaftskammer, Gewerkschaftsbund), die immer wieder auch als Hinweisgeber fungieren?
FINANZMINISTERIUM: Es gibt einen intensiven Austausch mit den Stakeholdern (Anm. der Red.: Interessensvertretung) und der Finanzpolizei, wobei sowohl generelle Themen aber auch individuelle Problemsituationen in konkreten Unternehmen angesprochen werden.
INSIDE POLITICS: Gibt es hier auch eine Kooperation etwa mit den Arbeitsgerichten, die im Laufe von Verfahren vielleicht auf Sachverhalte stoßen, die bis dahin den Finanzbehörden unbekannt sind?
FINANZMINISTERIUM: Es gibt zwar sogar eine gesetzliche Verpflichtung (§ 81 FinStrG), die alle Dienststellen der Gebietskörperschaften (und somit auch Gerichte) verpflichtet, bei einem Verdacht eines Finanzvergehens die zuständige Finanzstrafbehörde zu informieren, dennoch sind derartige Mitteilungen von Gerichten eher selten.
LOHNABZÜGE UND STRAFKATALOGE MEISTENS GESETZESWIDRIG
INSIDE POLITICS: In vielen Fällen werden Vertragsstrafen der Paketdienste/Speditionen von den Frächtern/Subunternehmern – die Teil des Geschäftsmodells zu sein scheinen – an die angestellten Mitarbeiter weitergegeben und von den Löhnen abgezogen. Inwiefern ist ein solches Vorgehen aus Sicht des Finanzministeriums illegal und inwieweit verstoßen solcher Art Strafen/Abzüge die in Einzelfällen vom Monatslohn (und diesen unter Kollektivertragstarif drücken können) abgezogen werden und oftmals mit dem Dienstnehmerhaftungsgesetz argumentiert werden, gegen das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz ?
FINANZMINISTERIUM: Derartige Praktiken sind selbstverständlich arbeitsrechtlich unzulässig und verstoßen in der Regel auch gegen das Lohn- und Sozialdumping-Bekämpfungsgesetz. Das Problem ist aber häufig die Feststellbarkeit derartiger Praktiken, da die Dienstnehmer auf Grund der wirtschaftlichen Abhängigkeit gegenüber den Kontrollorganen keine Auskünfte zu diesen Vorgängen erteilen.
PAKETDIENSTE ZÄHLEN ZUM HOCHRISIKOBEREICH
INSIDE POLITICS: Gibt es eine Statistik über Betrugsfälle in den einzelnen Branchen der österreichischen Wirtschaft? Wenn ja, auf welchen Rängen rangieren etwa die Baubranche und das Beförderungsgewerbe?
FINANZMINISTERIUM: Es gibt zwar Aufgriffsstatistiken, diese müsste man aber zu den insgesamt getätigten Kontrollen jeweils in Relation setzen, um valide Erkenntnisse zu generieren. Aber auch dann ist eine Interpretation der Zahlen problematisch, da Zufallskontrollen anders zu bewerten sind, als Kontrollen auf Grund konkreter Anzeigen. Generell aber lässt sich für die Kontrolltätigkeit der Finanzpolizei sagen, dass sowohl Bau- als auch Transportbranche zu den Hochrisikobereichen zählen. Ein Vergleich oder Ranking ist aber auch deshalb schwierig, da völlig andere Betrugspraktiken (Lohndumping versus partielle Schwarzarbeit; arbeitsrechtliche Verstöße versus Steuerhinterziehung und Beitragsbetrug) angewandt werden. Gemein ist beiden Bereichen aber, dass die Modelle mit hohem Organisationsgrad erfolgen und strukturell in den Branchen Einzug gefunden haben.
INSIDE POLITICS: Aus welchen rechtlichen Gründen kann das Ministerium den Namen des betroffenen Unternehmens nicht nennen?
FINANZMINISTERIUM: Die Finanzpolizei unterliegt sowohl dem Amtsgeheimnis als auch der abgabenrechtlichen Geheimhaltungspflicht gemäß § 48a BAO. Die Bekanntgabe von Daten zu einzelnen Kontrollvorgängen, die Rückschlüsse auf die konkreten Unternehmen erlauben würden, ist daher unzulässig.
BIS BALD,
EUER SIVIC
INSIDE POLITICS – MEHR ALS TAGESPOLITIK…