Am Sonntag brach für die Grünen der Himmel ein, bei Kaiserwetter und gefühlten 25 Grad im Schatten starb die Ökopartei einen schönen politischen Tod im Parlament. 31 Jahre war man am Stück im Nationalrat vertreten, nun ist die Grüne Bundespartei ausgezogen.
Die grüne Nächstenliebe schien am Sonntag verflogen, Ingrid Felipe distanzierte sich in einem ersten Statement von der Partei, sie stand vor den Scherben eines geplatzten Traumes den Träne nahe, dabei sagte sie in einer ersten Replik folgendes:
„Deswegen tu ich mir jetzt ganz hart, so zuversichtlich mit euch zu sprechen wie ich es sonst gern mache, weil wir uns das Ergebnis uns erst anschauen müssen und verdauen und bearbeiten müssen und uns überlegen was uns die Demokratie damit sagt…“
Die österreichische „Man will ja net so sein“-Mentalität hat sich im Wahlergebnis nicht niedergeschlagen. Beinhart wurde die „4 Prozent-Grenze“ eingezogen und die Grünen schlitterten ab 18:00 Uhr merklich unter diesen Strich der Leid, Geldschmerzen, den Verlust von Privilegien und vieles mehr bedeutet.
DREH DIE UHR ZURÜCK, ULRIKE!
Vor drei Monaten schrieb ich in diesem Blog „Dreh die Uhr zurück Ulrike„ ich verwies dabei auf die schwere interne Krise, mit der die Grünen konfrontiert waren und sprach im Fazit folgendes Szenario an:
„Stellt sich noch eine Frage: „Was passiert eigentlich wenn die Grünen aus dem Nationalrat fliegen?“
Das wäre wohl eine unglaubliche Geschichte, man stelle sich vor am 16. Oktober sitzen plötzlich in der Wiener Bundeszentrale der Grünen, neun Bundesländerchefs und die EU-Abgeordnete Ulrike Lunacek, die alle voll funktionsfähige und gut dotierte Parteiapparate vorweisen können, während ernsthaft über Sinn und Zweck einer Bundespartei sinniert wird, die keine politische Relevanz mehr hat.
Ironie wäre es übrigens, wenn Pilz ins Parlament einzieht, wie schnell gäbe es dann eine Wiedervereinigung?
Denn spätestens dann heißt es: „Halt die Uhr an! Ulrike, das wird länger dauern!“.“
Es ist also so gekommen wie ich es eigentlich nur im Scherz prophezeit habe, die Grünen verabschieden sich aus dem Nationalrat.
Ein politisch historisch einmaliges Ereignis, eine Partei mit voll funktionsfähigen Apparat, Landesorganisationen, die in allen Landeshauptstädten vertreten ist und in vielen hunderten politischen Gremien von der Gemeinde- und Bezirksvertretung bis hin zu Holdingvorständen ihre Funktionäre integriert hat, verliert die politische Relevanz auf Bundesebene.
Ulrike Lunacek muss indes nicht die Uhr zurückdrehen, sie ist von ihren Ämtern zurückgetreten.
5 MILLIONEN SCHULDEN, 147 EINZELSCHICKSALE…
Fünf Millionen Schulden, der Grüne Parlamentsklub (4 stöckig!) in der Wiener Löwelstraße muss geräumt werden, 126 Mitarbeiter (lt. Standard im Club und Bundespartei) sowie 21 Abgeordnete verlieren ihre Jobs/Tätigkeitsbereiche, darunter die Geschäftsführerin des Parlamentsklubs Doris Schmidauer (Ehefrau von Bundespräsident Alexander Van der Bellen) und ein Gutteil des Bundesvorstandes.
Laut Arbeitsmarktservice-Wien (AMS) Pressesprecher Mag. Sebastian Paulik ist so etwas bei einer Partei in dieser Größe noch nie passiert. Die Pressesprecherin von AMS-Österreich Frau Dr. Beate Sprenger betont, dass es sich bei den nun zu vermittelnden Personen wohl um gut gebildete Arbeitskräfte handelt die leicht vermittelbar sind.
Politische Mitarbeiter und Politiker werden im Bezug auf Vermittelbarkeit laut AMS-Wien statistisch nicht erfasst.
Interessant wird hier die Frage nach dem Sozialplan sein, der geht nämlich auf Initiative von den Unternehmen aus, das AMS ist hier Partner und hat rechtlich einen Parteienstatus im Verfahren.
Bei den Schulden wird es wohl noch mehr Diskussionsbedarf geben, denn hier müssen aller Voraussicht nach die Landesparteien einspringen.
Laut Ediktsdatei gab es 2016 zwei Insolvenzen von Kleinstparteien (Partei für Recht und Ordnung und der Rumäninnenpartei), die mangels Vermögens abgelehnt wurden.
Auch für den Kreditschutzverband von 1870 ist das ein eher ungewöhnlicher Fall. Wahrscheinlich ist, dass die Landesparteien die Schuldenlast tragen werden um so einer Insolvenz der Bundes-Grünen zu entgehen.
Nicht eingerechnet sind hier mögliche Insolvenzen und Kündigungen bei Zulieferern, Agenturen, Partner-Betrieben oder Organisationen die mit den Grünen kooperiert haben.
HARTE ZEITEN FÜR PARTNER!
Hier könnte es zur Streichung von Arbeitsplätzen oder gar Firmenschließungen kommen, auch Vereine die bislang Sponsoring von der Umweltpartei erhielten, müssen wohl mit Abschlägen rechnen, das wird aber individuell von Fall zu Fall unterschiedliche Auswirkungen haben. Manche Projekte die durch die Partei oder mithilfe von ihre Förderungen bekamen, werden möglicherweise Schwierigkeiten bekommen, sich zu finanzieren.
Auch Vereine die politische Lobbyingarbeit bei Sozial- oder Umweltthemen leisten und bei der Grünen-Alternative ihre Ansprechpartner hatten, müssen sich nun zumindestens teilweise neu orientieren, insofern ihr Netzwerk nicht ohnehin weiter gespannt ist.
Gruppen die bislang in ihrem Kampf gegen Rechts für Umweltschutz, Flüchtlinge und andere Ungerechtigkeiten, finanzielle oder juristische Unterstützung durch die Grünen erhielten, könnten hier schweren Zeiten zusteuern. Denn der Sparstift bei den Länderparteien wird sich erheblich auf das finanzielle Gehabe der Partei auswirken.
Damit endet wohl auch das Thema der bezahlten Demonstrationen und anderer Servicedienste in diesem politisch strittigen Bereich.
LETZTE HOFFNUNG PETER PILZ?
Zu erwarten ist, dass sich die internen Diskussionen ausweiten. Der innere Zusammenhalt der Partei könnte jedenfalls darunter leiden und die Fragen nach Schuld und Zukunft werden in den nächsten Jahren immanente Begleiter sein.
Eine Auflösung der Bundespartei oder Abspaltung von Landesgruppen scheint nicht unwahrscheinlich, was haben denn die Tiroler und Wiener Landespartei außer zweistellige Wahlergebnisse schon gemeinsam?
Hinter vorgehaltener Hand sprach man vor der Wahl davon, dass die Partei und ihre Vorfeldorganisationen implodieren, wenn sie aus dem Parlament gewählt würden. Vorbereitungen für diesen Fall wurden anscheinend nur wenige bis keine getroffen.
Es wird wohl Gespräche mit Pilz geben, der wird sich aber hüten Verantwortung für etwas zu übernehmen, was er nicht zu verantworten hat.
Ob Pilzs Bewegung die Grünen ergänzen, ersetzen oder sich gar mit ihnen verbünden/fusionieren wird, bleibt abzuwarten.
Die LISTE PILZ täte einmal gut daran, im Parlament Fuß zu fassen und nicht wie die NEOS 2015 zu versuchen in vier Landtäge überstürzt reinzureiten.
Daher scheint es denkbar, dass entweder in einzelnen Bundesländern Kooperationen oder „Nicht-Angriffspakte“ geschlossen werden.
Peter Pilz hat es jedenfalls leicht, er hat neun potentielle Ansprechpartner in den Ländern die alle ihre eigenen Agenden verfolgen, er hingegen ist nur einer im Parlament, der das tun kann, was er will und auf keinen alteingesessenen Parteiapparat Rücksicht nehmen muss.
FAZIT:
Es bleibt abzuwarten was passiert. Der historisch einmalige Fall ist eingetreten, eine Partei die im EU-Parlament und in allen neun Bundesländern vertreten ist, fliegt aus dem Nationalrat. Damit haben wohl nur wenige gerechnet.
Für viele Abgeordnete und Mitarbeiter heißt das persönlich neue Wege zu gehen. Der geschützte Bereich des Parlamentes ist für sie ab nun verschlossen, für alle anderen Parteien heißt das aber auch zusehen was mit den Grünen passiert, denn das ist jetzt eine demokratische Lehrstunde für uns alle.
Zum Abschluss bedanke ich mich bei allen Pressesprechern die ich im Zuge der Erstellung dieses Beitrages kontaktiert habe, Herrn Mag. Paulik und Frau Dr. Sprenger vom AMS sowie bei Frau Karin Stirner und ihren Kollegen vom Kreditschutzverband 1870 für die Hilfe bei der Recherche.
BIS DANN,
EUER SIVIC
INSIDE POLITICS – MEHR ALS TAGESPOLITIK…